Lobotomie: Zerstören des Gehirns

Einige Zeit lang galt die Lobotomie als das Wundermittel gegen schwere psychische Störungen wie Paranoia oder Schizophrenie. Man glaubte durch das Verfahren Hypochondern ihre Angst nehmen und Suizidgefährdeten neuen Lebensmut geben zu können. Auch aggressives und gewalttätiges Verhalten wollte man mit der Lobotomie behandeln.
Es stellte sich jedoch nach mehreren Jahren heraus, dass die Menschen nach dem Eingriff in das Gehirn unterwürfig, antriebslos und inaktiv wurden. Tausende Patienten wurden während der Blütezeit der Lobotomie zu emotionalen und geistigen Krüppeln.
Bei der Lobotomie handelt sich um einen Eingriff in das Gehirn. Derartige Verfahren fallen unter den allgemeinen Begriff „Psychochirurgie“. Ihre Ursprünge liegen in der Trepanation. Bei diesem archaisch anmutenden Verfahren wurde den Patienten ein Loch in den Schädel gebohrt. Dazu wurde meist ein kreisförmig schneidender Fräser, ein „Trepan“, eingesetzt. Daher stammt der Name dieser Operationsmethode. Durch das Öffnen der Schädelplatte sollte der Gehirninnendruck gemindert werden, wenn dieser durch Blutungen im Gehirn angestiegen war.
Bei der Lobotomie, die auch als „Leukotomie“ bezeichnet wird, werden die Verbindungen zwischen der Rinde des Stirnlappens (lobus frontalis) und anderen Gehirnregionen durchtrennt. Der Stirnlappen ist ein dünne graue Nervenschicht, die direkt unter der Hirnoberfläche liegt. Die Begriffe „Hirnrinde“ und „Kortex“ werden synonym verwendet.
Die Lobotomie wurde möglich, als es gelang, basale Empfindungen wie Hass und Angst im präfrontalen Kortex zu lokalisieren. Entwickelt wurde das Verfahren 1935 von dem portugiesischen Psychiater Antonio Egas Moniz. 1949 erhielt der Wissenschaftler dafür den Nobelpreis für Medizin.
Moniz wurde 1874 geboren. 1911 wurde er der erste Lehrstuhlinhaber für Neurologie an der Universität Lissabon. Intensiv beschäftigte sich Moniz mit der Behandlung psychischer Krankheiten und der Psychochirurgie. Seine erste große Entwicklung war die „Angiographie“. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, mit dessen Hilfe die Blutgefäße im Gehirn sichtbar gemacht werden konnten. Dazu wurde eine Kontrastflüssigkeit in die Blutbahn injiziert. Über den Blutkreislauf gelangte die Kontrastflüssigkeit ins Gehirn. Die Methode der Angiographie erwies sich besonders bei der Diagnose von Gehirnerkrankungen als hilfreich.
Moniz war der Überzeugung, dass bei Menschen mit psychischen Störungen „fixierte Gedanken“ auftreten. Seiner Ansicht nach unterdrückten sie die normalen Nervenfunktionen. Die fixierten Gedanken ließen sich laut Moniz dadurch lösen, dass man die Nervenfasern, die für sie verantwortlich sind, durchtrennt.
Bei der Lobotomie nach Moniz wurde in beide Seiten des Schädels des Patienten ein Loch gebohrt. Durch diese wurde ein Instrument eingeführt, mit denen das Nervengewebe durchtrennt oder zerstört wurde. Bei dieser Originalmethode, die 1935 eingeführt wurde, wurden so gut wie alle Nervenbahnen zerstört, die den Frontallappen mit den übrigen Gehirnregionen verbinden.
Aber die Methode wurde weiterentwickelt. Kleinere operative Eingriffe, bei denen weniger Teile des Gehirns entfernt oder weniger Nervenverbindungen gekappt wurden, erhielten Einzug.
In den 40er Jahren wurde das Verfahren erneut weiterentwickelt. Walter Freeman und James Watts waren die Pioniere der sogenannten „transorbitalen Lobotomie“. Aus heutiger Sicht mutet das Verfahren überaus brachial an: Eine Nadel wurde durch die Augenhöhle in das Gehirngewebe eingeführt. Durch das Bewegen der Nadel konnte anschließend das Gewebe im orbitalen Bereich zerstört werden.
Der erste vermeintliche Erfolg der Lobotomie lässt sich durch die damalige Situation erklären. In der damaligen Zeit gab es für viele psychische Erkrankungen noch keine adäquate Behandlungsmethode. Hochwirksame Psychopharmaka, wie sie heutzutage eingesetzt werden, waren noch nicht verfügbar.
Zudem waren die psychiatrischen Krankenhäuser überfüllt. Das Problem verschärfte sich, als nach dem Zweiten Weltkrieg viele Heimkehrer in Krankenhäuser eingeliefert wurden.
Weiterhin sprachen einige erste Berichte für den Erfolg der Methode. Doch schon wenig später zeigte sich, dass man sich geirrt hatte. Die Lobotomie raubte den Patienten ihre Kreativität und Antriebskraft. Bei schwereren Eingriffen wurden die Betroffenen grob in ihren Umgangsweisen und achteten nicht mehr auf ihr Äußeres. Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen war eine weitere Folge der fragwürdigen Behandlungsmethode.
Mit der Zeit häuften sich die Berichte über die negativen Auswirkungen der Lobotomie. Es wurde unter anderem bekannt, dass die Sterblichkeitsrate nach dem Eingriff in die Höhe schnellt. Teillähmungen, Ausfälle der motorischen Koordination und emotionale Abgestumpftheit wurden bei Menschen, die man einer Lobotomie unterzogen hatte, beobachtet.
Heutige Verfahren der Psychochirurgie sind sehr viel präziser als Methoden wie die Lobotomie. Dennoch werden sie nur selten eingesetzt. Nur in schwersten Fällen werden sie in Erwägung gezogen. Denn in den 50er Jahren entdeckten Wissenschaftler die Wirkung verschiedener psychotroper Medikamente. Heute sind sie weit verbreitet. Sie tragen entscheidend zur Linderung psychischer Beschwerden bei. Insgesamt lassen sich vier Hauptgruppen unterscheiden: Zum einen werden Angst lösende Medikamente (Tranquilizer) und Antidepressiva, die eine Stimmungsaufhellung bewirken, eingesetzt. Weiterhin werden antibipolare Medikamente zur Behandlung bipolarer Störungen verschrieben. Menschen mit einer bipolaren Störung schwanken in ihren Gefühlen zwischen Manie und Depression. Das bekannteste antibipolare Medikament ist Lithium. Die vierte Gruppe psychotroper Medikamente stellen die antipsychotischen Medikamente dar. Wahn, Halluzinationen und Psychosen können mit ihnen erfolgreich behandelt werden.